Durchsetzungsmöglichkeiten für freie Lizenzen (Teil 2)

Im ersten Teil von diesem Beitrag stellte ich dar, wie die „Copyleft“-Logik bezweckt, durch Schneebälle aus Bearbeitungen des ursprünglichen Werkes große und allgemein zugängliche technische und kulturelle Produkte (wie Linux und Wikipedia) zu bilden. In diesem Teil komme ich dazu, welche rechtlichen Instrumente zur Aufrechterhaltung von diesem Schneeballeffekt der Open-Source-Community bisher zur Verfügung standen, welche nicht, und was daran die neue amerikanische Entscheidung in der Sache "Software Freedom Conservancy, Inc. v. Vizio, Inc." zu ändern vermag. 

Die Anerkennung der Rechtsprechung in mehreren Jurisdiktionen (vgl. GRURInt 2008, 20) als ein Instrument zur Gewährleistung des beschriebenen Schneeballeffekts verdienten die freien Lizenzen mit sogenannten Share-Alike-Klauseln.

Darin wird typischerweise vorgesehen, dass der Lizenznehmer seine Bearbeitungen öffentlich zugänglich machen darf, dabei aber diese unter derselben Lizenz den Dritten gegenüber lizenzieren muss, so etwa in Nr. 5. c) GPLv3; Nr. 2 b) GPLv2; Nr. 4. GFDLv1.3; Nr. 4. b) CC-BY-SA 3.0 DE. Somit wird der Schneeballeffekt durch einen „Copyleft-Effekt“ oder „viralen Effekt“ gestärkt.

Der Wille des Lizenzgebers bei der Einbeziehung einer Share-Alike-Klausel ist dabei letztlich, dass alle zukünftigen Derivate seines Werkes zur Bearbeitung und Weiterverwendung durch alle Mitglieder der Allgemeinheit offen bleiben.

Die deutsche Rechtsprechung sieht in solchen Share-Alike-Klauseln auflösende Bedingungen nach § 158 Abs. 2 BGB (so bereits das Urteil des LG München I, 19.05.2004 - 21 O 6123/04).

Die rechtliche Konstruktion lässt sich wie Folgt erklären: wer einen Wikipedia-Artikel oder Linux (sei es als Quellencode oder Binärdaten) im Rechtssinne nutzt (etwa vervielfältigt oder bearbeitet) willigt konkludent in die Bedingungen einer beigefügten Lizenz (in deutscher Rechtssprache Vertrag über Einräumung von Nutzungsrechten) wie Creative Commons oder GPL ein. Durch diese Lizenz wird er zu solcher Nutzung auch berechtigt.

Interessant wird es mit dem Inverkehrbringen der abgeleiteten Version (Bearbeitung). Sollten auch bei diesem Schritt die Lizenzbedingungen inklusive der Share-Alike-Bedingung eingehalten werden, so leben die nach der Lizenz eingeräumten Nutzungsrechte Rechte weiter. Kommt es aber zur Verletzung der Lizenz, so wird die Bedingung nach § 158 Abs. 2 BGB ausgelöst: das einmal eingeräumte Nutzungsrecht entfällt mit der Folge, dass der Urheber der Bearbeitung (Derivats) nun in die Verwertungsrechte des Urhebers des Originalwerkes eingreift.

Die Unterlassungs- und Schadensersatzanspräche des § 97 UrhG kommen dann wieder Mal in Betracht, wie wir diese auch aus dem guten alten Copyright-Spiel kennen. Im Copyleft-Spiel sind diese Ansprüche jedoch nicht das Selbstziel, sondern nur ein Damokles-Schwert zur Durchsetzung des Viraleffekts.

Zu den anderen – direkteren – Durchsetzungsinstrumenten, also gerichtet auf „Vertragszwang“ zu Lizenzierung eigenes „infizierten“ Werkes unter einer freien Lizenz sagte ich bis Dezember des vergangenen Jahren, diese hätten sich noch nicht herausgebildet. Es gab keinen gerichtlich anerkannten einklagbaren Anspruch, eine Bearbeitung des Share-Alike-lizenzierten Werkes auch unter Share-Alike-Lizenz verfügbar zu machen. 

Seitens der deutschen Rechtsprechung gab es nicht Mal die Anerkennung eines Direktanspruchs des Lizenzgebers des ursprünglichen Werkes auf Veröffentlichung von Quellencode einer Bearbeitung. Die Klagen bedienten sich daher des Damolkes-Schwertes mit § 97 UrhG Anträgen wie „zu unterlassen, […] öffentlich zugänglich zu machen, ohne dass zugleich entsprechend den Lizenzbedingungen der GNU General Public License, Version 2, der vollständige korrespondierende Quellcode des […] lizenzgebührenfrei zugänglich gemacht wird“ (vgl. LG Hamburg, 08.07.2016 - 310 O 89/15).

Ein solcher Direktanspruch des unproblematisch Aktivlegitimieren (diesen wird es bei großen Open-Source-Projekten sowieso nie geben) und Klagebefugten Mal angenommen, steht man vor der nächsten Hürde: Wie gewähre ich einen solchen Anspruch auch demjenigen, für wen Open Source existiert und welcher es weiterbearbeiten möchte, also jedermann?

Im deutschen Recht, welches zwischen einem materiellen Anspruch und prozessualer Klage (etwa seit Bernhard Windscheids Actio des römischen Civilrechts?) streng unterscheidet, wären zwei Wege dafür denkbar:

Entweder wir legen die Share-Alike-Bedingungen als Verträge zugunsten Dritter aus.

Ein Anspruch eines Dritten auf Herausgabe von Quellencode aus Share-Alike-Klauseln war auch in der deutschen Literatur vertreten, wobei oft ohne sich mit den Voraussetzungen (etwa, ist jedermann ein „bestimmbarer“ Dritter?) des § 328 BGB auseinanderzusetzen .

Die deutsche Rechtsprechung dazu fehlt.

Ein anderer Weg wäre, einem eine Prozessstandschaft zuzusprechen.

Allerdings, welchem „einem“? Eine gewillkürte Prozessstandschaft zugunsten jedermann anzunehmen, wäre für das deutsche Zivilprozess nahezu systembrechend.

Meine Lieblingslösung wäre, für die Open-Source-Community de lege ferenda das zu erkämpfen, was die Umwelt- und Verbraucherschützer schon länger haben: eine gesetzliche Prozessstandschaft von zur Förderung von Open Source und Open Content gegründeten Vereine, wie die Free Software Foundation, Software Freedom Conservancy, ifrOSS, Creative Commons und Wikimedia.

Mittelweiler kam Dezember 2023 vom Orange County Superior Court aus Kalifornien eine Antwort auf die im ersten Teil von diesem Beitrag gestellte Frage: Sind Share-Alike-Klauseln in Open Source Lizenzen bloß auflösende Bedingungen oder ermöglichen sie einem Dritten, von dem Rechtsinhaber des Derivats zu verlangen, Source Code offenzulegen und mit dem Dritten eine Lizenzvereinbarung unter den gleichen Bedingungen zu schließen?

Die Abweisung einer Summary Judgment vom 29.12.2023 in der Sache "Software Freedom Conservancy, Inc. v. Vizio, Inc." lautet: Allowing third parties such as SFC to enforce their rights to receive source code is not only consistent with the GPLs’ objectives; it is both essential and necessary to achieve these objectives.

Share-Alike ist für amerikanisches Gericht also ein Anspruch eines Dritten und nicht bloß eine auflösende Bedingung. Bisher sahen auch dortige Gerichte die Share-Alike-Klauseln nur als auflösende Bedingungen.

Ob Common Laws third-party beneficiary eher dem Konstrukt der Aktivlegitimation oder der Prozessführungsbefugnis näher ist, sei einem vergleichenden Rechtswissenschaftler überlassen (Bernhard Windscheids "Actio" bleibt bis auf Weiteres auf meiner Leseliste). Eine unzumutbare Beeinträchtigung des Prozessgegners lehnte das Gericht allenfalls mit dem Argument ab, dass auch für den Lizenzgeber des ursprünglichen Werkes seinerseits unzumutbar wäre, jeden zu verklagen, der GPL nicht einhält.

Diese Entscheidung gibt Hoffnung, dass auch andere Jurisdiktionen den Share-Alike-Direktanspruch bejahen. Und die Schönheit von Copyleft ist natürlich: ist es für einen, egal wo, durchgesetzt, ist es für alle überall durchgesetzt.

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